
28/06/2022
PFLEGEMANAGEMENT – FÜHRUNGSVERANTWORTUNG IN DER PFLEGE
Seit 2012 leitet Dr. Barbara Mayerhofer den Bachelor-Studiengang Pflegemanagement (B. A.) an der APOLLON Hochschule. Sie wünscht sich, dass Pflegemanagement künftig mehr in alle planerischen Überlegungen von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit einbezogen wird. Im Interview erzählt sie, was sich in der Pflege verändert hat, was gutes Pflegemanagement für sie auszeichnet und vor welchen Herausforderungen Menschen stehen, die sich heute für eine leitende Position in der Pflege entscheiden.
Frau Dr. Mayerhofer, derzeit werden händeringend leitende Pflegefachkräfte gesucht. Warum?
Dr. Barbara Mayerhofer: Die Arbeit wird komplizierter und teilt sich mehr auf. Deshalb werden Köpfe gesucht, die organisieren können, die verwalten können und die das Know-how haben, auf die Mitarbeitenden einzugehen. Hinzu kommt, dass Führungskräfte sehr leicht ausgebrannt sind, weil sie zu viel Verantwortung auf ihren Schultern tragen, daher oft den Job wechseln oder ganz aussteigen. Pflege funktioniert für mich aber nur, wenn geführt wird. Führungskräfte schaffen ein Umfeld, das von den Pflegenden als positiv empfunden wird. Sie sorgen für eine kompetenzorientierte Arbeitsverteilung und durch ihr Verhalten für ein positives Betriebsklima.Welche Herausforderungen kommen auf Menschen zu, die sich für eine Tätigkeit im Pflegemanagement entscheiden?
Sie müssen mit der Personalknappheit zurechtkommen. Und sie müssen mit der Multinationalität zurechtkommen. Es ist ein Unterschied, ob ich nur aus einem Land Mitarbeitende habe oder aus vielen Ländern, die unterschiedliche Kulturen und Einstellungen zur Arbeit haben. Sie müssen auch damit zurechtkommen, die Spannung zwischen dem Personal und Klient:innen (Patient:innen oder Bewohnenden) auszuhalten und auszugleichen. Sie müssen oft, gerade was den Altenpflegebereich oder auch den Sozialstationsbereich anbelangt, mit einspringen und mitarbeiten, was im Krankenhaus aufgrund der größeren Stationen und viel höheren Zahl der Mitarbeitenden nicht der Fall ist.Wie bewerten Sie denn diese ohnehin schon herausfordernde Situation vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie?
Als Pflegedienstleitung (PDL) oder Heimleitung ist da die Grätsche nach ganz oben zur Geschäftsführung und dann wieder nach unten zu den Mitarbeitenden. Viele Mitarbeitende sind ausgefallen. Zu Beginn der Pandemie wusste noch keiner wie man mit dem Virus und seinen Auswirkungen umgehen sollte. Und in den vergangenen zwei Jahren hat sich gezeigt, dass der Stress für die Pflegenden destruktiv sein kann. Viele Mitarbeitende haben sich infiziert, andere konnten einfach nicht mehr. Dadurch hat sich die Mitarbeitendenzahl immer weiter reduziert. Dann standen die Führungskräfte vor dem Problem, dass sie kein Personal mehr hatten – und mussten selbst noch mehr mit anpacken. Ein hartes Training für alle Beteiligten.Sie verfolgen als Expertin die Entwicklung in der Pflege seit Jahren. Was hat sich verändert?
Im Prinzip hat sich alles einmal gedreht: Als ich anfing Pflege zu lernen, war das Wichtigste ein Häubchen zu tragen, ordentlich gekleidet zu sein und zu tun, was die Oberin sagt. Heute kommen die jungen Leute mit ganz eigenen Vorstellungen. Sie sind sehr gut ausgebildet, sehr interessiert, aber auch eigenständig. Sie lassen sich zwar vieles sagen, aber bitte im richtigen Ton. Arbeit ist nicht mehr die Hauptsache: Gerade der jüngeren Generation geht Freizeit über alles, dafür nimmt sie auch weniger Gehalt in Kauf. Pflege ist heute ein eigenständiger Beruf, der eine umfängliche Kompetenz benötigt und eine hohe Bereitschaft voraussetzt, diese an die Patient:innen heranzubringen.Aus welchem Grund sollte man sich denn dafür entscheiden, Führungsverantwortung in der Pflege zu übernehmen?
Es liegt an jedem selbst, ob man führen will, ob man diese Verantwortung übernehmen will. Es ist sicherlich einfacher, morgens in den Dienst zu kommen und mittags wieder nach Hause zu gehen. Als Führungskraft hingegen habe ich quasi immer ein Ohr am Handy, habe stets mein Laptop an, bin viel in der Einrichtung unterwegs, um mich zu vergewissern, dass alles läuft. Es ist ein Mitgehen, ein sehr strukturiertes Arbeiten, aber auch ein sich darauf Einlassen. Man muss eine hohe Konfliktfähigkeit und viel Geduld mitbringen.Wie sieht der typische Arbeitstag einer leitenden Pflegefachkraft aus?
Das kann man so pauschal gar nicht sagen, weil wir unterscheiden müssen zwischen den Führungskräften in den Krankenhäusern, den Führungskräften in Pflegeheimen oder auch in ambulanten Pflegeeinrichtungen, den Führungskräften in Hospizen usw. Generell ist es so, dass Personalplanung und Personalgespräche eigentlich jeden Tag auf der Tagesordnung stehen. Man muss die Kompetenzen der Mitarbeitenden erfassen und überlegen, wer passt am besten wohin. Man muss Differenzen im Team ausgleichen, auch zwischen Klient:innen und Mitarbeitenden. Man muss ein hohes ökonomisches Verständnis haben, sich um die Materialplanung kümmern, aber auch Zusammenhänge verstehen: Wie läuft mein Betrieb? Was kann ich optimieren? Wie kann ich Personalschwächen ausgleichen? Wie sieht meine Vermittlerrolle nach oben und nach unten aus? Es ist nicht immer einfach, alle Beschlüsse der Geschäftsführung den Mitarbeitenden so zu vermitteln, dass diese sie verstehen und wie gewünscht umsetzen.Auf diese und weitere Aufgaben bereiten Sie die Absolvent:innen des Bachelors Pflegemanagement an der APOLLON Hochschule umfassend vor. Welche Kompetenzen erwerben die Studierenden?
Im Vordergrund steht das Erfassen von Mitarbeiterkompetenzen. Kommunikation, ein großes Thema, das mit entsprechenden Seminaren unterfüttert wird. Es geht um ökonomisches Verständnis; im Pflegemanagement ist also auch ein Teil Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre enthalten. Soziale Kompetenzen und Soziologie sind von Bedeutung. Organisationsprozessmanagement und Qualitätsmanagement spielen eine große Rolle, ebenso wie wissenschaftliches Arbeiten, etwa Studien lesen, auswerten und aufbereiten. Ein weiteres Modul ist allgemeines und soziales Recht. Palliativ Care ist ein Bereich, für den mein Herz besonders schlägt: Immer mehr Pflegende wollen in den Palliativ-Bereich, weil sie darin ein Stück weit Selbstverwirklichung sehen und mehr Zeit für die Patient:innen haben. Dann haben wir zwei Wahlpflichtfächer: Wenn ich mich zum Beispiel entscheide, ich will in der Gerontologie, also im Pflegeheim arbeiten, habe ich einmal im Hauptstudium das Fach Gerontologie, und dann kann ich es im Wahlpflichtfach vertiefen. Aus den Bereichen Palliativ Care, Altenhilfeeinrichtungen, ambulante Einrichtungen oder Krankenhausmanagement kann ich mir ein weiteres Wahlpflichtfach aussuchen.Wie praxisnah ist dieser Fernstudiengang?
Unsere Studienhefte sind von Wissenschaftler:innen geschrieben, die in der Praxis stehen. Das Material wird fortlaufend aktualisiert und mit neuen Daten gefüttert. Es gibt sehr viele praktische Beispiele und Falldarstellungen, in denen sich unsere Studierenden wiedererkennen. Dann gibt es den großen Praktikumsbericht, den die Studierenden schreiben müssen, und natürlich stehen wir im regelmäßigen Austausch mit ihnen und beraten bei Bedarf. Jeder hat sein individuelles Lerntempo, deshalb beträgt die Regelstudienzeit 36 bis 48 Monate.Welche Zielgruppe sprechen Sie mit dem Bachelor Pflegemanagement an?
Wir sprechen Menschen an, die sich weiterentwickeln wollen, natürlich Pflegende mit dreijähriger Ausbildung, aber auch Pflegende mit zweijähriger Ausbildung, die sogenannten Pflegeassistent:innen, deren Ausbildung gerade deutschlandweit vereinheitlicht wird. Es sind Interessierte, die mal in einer Pflegeeinrichtung gearbeitet haben oder eine Pflegeeinrichtung kennengelernt haben oder die als Notfallsanitäter gearbeitet haben und in diesem Bereich mehr Wissen erwerben möchten. Mehrheitlich sind es Krankenpflegekräfte, Altenpflegekräfte, Kinderkrankenpflegekräfte und Therapeut:innen. Wir haben aber auch Quereinsteiger aus anderen Berufen.Welche Einsatzbereiche kommen für Menschen mit einem Bachelor Pflegemanagement infrage?
Ganz unterschiedliche: Wir haben festgestellt, dass es in Krankenhäusern immer neue Positionen gibt, die es vorher nicht gegeben hat, nehmen wir Leiter:in Digitalisierung Pflege. Das ist ein Posten, den noch nicht viele Krankenhäuser haben. Aber das kommt immer mehr, weil es so ein umfassendes Gebiet ist. Dann das Klassische: Heimleitung, Pflegedienstleitung, Assistent:in der Geschäftsführung bis hin zur Geschäftsführung. Einige Studierende gehen zum Medizinischen Dienst, arbeiten in der Heimleitung oder in der Hospizleitung. Andere sind in der Seniorenarbeit tätig, bauen beispielsweise Generationenhäuser und -netzwerke auf, arbeiten bei der Stadt- oder in der Kommunalverwaltung. Man hat so viele Möglichkeiten mit dem breit aufgestellten Studiengang Pflegemanagement, der zwar einen Anteil Pflegewissenschaft beinhaltet, aber den Schwerpunkt auf Pflegemanagement setzt.Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft des Pflegemanagements?
Im Zuge der Krankenhausreform muss Pflegemanagement viel mehr in alle planerischen Überlegungen von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen mit einbezogen werden. Und es muss erkannt werden, dass es hier nicht allein ums Managen von Dingen geht, sondern dass es um den Umgang mit Menschen geht. Ich manage im Prinzip mich selber, weil ich dann mit den anderen Menschen umgehen kann. Meine Hoffnung ist, neben all den vielen Dingen die passieren müssen, wie dem Voranbringen der Pflegewissenschaft, der Vereinheitlichung der Pflegeassistent:innenausbildung und dem Voranbringen der Wissenschaftlichen Pflege am Bett, dass nicht vergessen wird, dass dies auch alles von irgendwoher sortiert, organisiert und besprochen werden muss. Sorgen müssen aufgefangen, Dinge müssen weiterentwickelt werden – und dazu sind Pflegemanager:innen da.Zur Person:
