13/04/2023
Pflegeberatung: Individuelle Lösungen finden
Seit 2008 hat in Deutschland jeder pflegebedürftige Mensch einen gesetzlichen Anspruch auf eine individuelle, unabhängige Pflegeberatung. Dabei werden auf Wunsch auch Angehörige und/oder pflegende Personen einbezogen. Der
Beratungsbedarf ist groß: Die Vielzahl gesetzlicher und privater Leistungen
sowie die der verschiedenen Anbieter ist überwältigend und entsprechend unübersichtlich.
Wie komme ich an eine Pflegeberatung? Und was versteht man darunter genau? Wie qualifiziert man sich als Berater:in? Über diese und weitere Fragen haben wir uns mit Nadine Sunder unterhalten. Seit einigen Jahren arbeitet sie selbstständig mit dem „Unterstützpunkt Gesundheit“ in der Versorgungslandschaft und bietet in diesem Rahmen unter anderem Pflegeberatungen an.
Frau Sunder ist zudem als Tutorin an der APOLLON Akademie und an der
APOLLON Hochschule tätig.
Das leistet die Pflegeberatung
Die Pflegeberatung ist ein Angebot für Menschen, die pflegebedürftig sind oder sich um die Betreuung, Versorgung und Pflege von kranken oder pflegebedürftigen Personen kümmern. Im Rahmen der Pflegeberatung erhalten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen Informationen und Unterstützung bei der Organisation und Planung von Pflegeleistungen. „Dabei stehen die Bedürfnisse und Wünsche der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen stets im Vordergrund“, betont Nadine Sunder. „
Ziel sollte es immer sein, dass pflegebedürftige Menschen länger selbstbestimmt und selbstständig leben können. Dafür gilt es, individuelle Lösungen zu finden, die bestenfalls exakt den genannten Bedürfnissen und Wünschen entsprechen, eine hohe Lebensqualität ermöglichen und
passgenau zugeschnittene Unterstützung und Informationen bieten, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten.“ Eine Pflegeberatung kann sowohl
vor Ort als auch telefonisch oder online erfolgen. „Persönliche Pflegeberatungen vor Ort haben aber den Vorteil, dass auch zum häuslichen Umfeld beraten werden kann. Oft gibt es da Optimierungspotenzial, etwa in Sachen Barrierefreiheit“, berichtet Nadine Sunder aus der Praxis.
Inhaltliche Aspekte der Pflegeberatung
Die Pflegeberatung ist facettenreich. „Die Inhalte hängen von den Nachsuchenden ab: Hat die pflegebedürftige Person selbst Fragen oder sind es die pflegenden Angehörigen, die ja oftmals einen ganz anderen Blick auf die Pflegesituation haben?“, so Nadine Sunder. Es kann zum Beispiel der
Wunsch nach Informationen zu den zur Verfügung stehenden Leistungen im Fokus stehen. Aber auch Fragen rund um die
Organisation von Pflege, die Auswahl und Organisation von Pflegeleistungen oder die
Beantragung von Leistungen bei Pflege- und Krankenkassen sind möglich. Häufig geht es um Finanzierungsmöglichkeiten und
rechtliche Aspekte, um psychosoziale Beratung, Unterstützung im Umgang mit der Pflegesituation, um die
Vermittlung von Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige sowie um Hilfsmittel, die Anpassung von Wohnraum und komplementär nutzbare Dienste.
„Mitunter kommen auch
sehr persönliche Themen wie die Entfremdung bei Demenz, Umgang mit familiären Veränderungen oder Überforderung und Erschöpfung aufgrund der Pflegesituation, aber auch schambehaftete Aspekte wie Inkontinenz zur Sprache. In der Pflegeberatung kann und sollte mit allem gerechnet werden, sodass die Person, die die Pflegeberatung durchführt, bestenfalls ein
breites Wissens- und Kompetenzrepertoire im Gepäck hat“, sagt Nadine Sunder.
Wer bietet Pflegeberatungen an?
Die Pflegeberatung wird von verschiedenen Einrichtungen angeboten, wie zum Beispiel den
Pflegekassen, Pflegestützpunkten, ambulanten Pflegediensten, im
Entlassungsmanagement von Kliniken oder auch von
unabhängigen Pflegeberater:innen. „Die Nachsuchenden sollten dabei immer auf die Gebührenfreiheit des Angebotes achten“, rät Nadine Sunder. „Die Pflegeberatung ist grundsätzlich eine Kassenleistung, bestimmte Einrichtungen können sie auch als kostenfreies Serviceangebot selbst finanzieren – zweifelsohne gibt es aber auch Institutionen, die den Nachsuchenden eine Pflegeberatung als Dienstleistung privat in Rechnung stellen. Wichtig ist, dass Pflegeberater:innen neutral und unabhängig arbeiten und keine finanziellen Interessen an der Vermittlung von Pflegeleistungen haben. Sie sollten
ausschließlich im Interesse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen tätig sein“, betont Nadine Sunder.
Pflegeberatungen nach § 37 Abs. 3 und § 45 SGB XI werden in erster Linie von den ambulanten Diensten oder von anerkannten Beratungsstellen durchgeführt. Die Durchführung der
Pflegeberatung nach § 7a SGB XI obliegt überwiegend den Pflegekassen, die im Zuge dessen vorwiegend kassenansässige sowie kommunale Pflegestützpunkte mit dieser Aufgabe betrauen bzw. diese an die dortigen Mitarbeitenden übertragen.
Wie wird man Pflegeberater:in?
Pflegefachkräfte wie Gesundheits- und Krankenpfleger:innen, Altenpfleger:innen, Sozialarbeiter:innen, aber auch beispielsweise Sozialversicherungsangestellte, können sich über eine
klassische Weiterbildung qualifizieren. Diese dauert in der Regel zwischen sechs und zwölf Monaten und umfasst unter anderem Themen wie Pflegeversicherung, Case Management und Beratungskompetenz. An der
APOLLON Akademie gehört seit Herbst 2022 „
Geprüfte/-r Pflegeberater/-in nach § 7a SGB XI“ zum Weiterbildungs-Portfolio. An der
APOLLON Hochschule wird im Rahmen des
Bachelor-Studiengangs B. Sc. Pflege das
Zusatzzertifikat Pflegeberatung nach § 7a SGB XI angeboten. Dieses Zusatzzertifikat kann durch das Belegen einer bestimmten Wahlpflichtfach-Kombination mit dem Studium des Bachelors Pflege erworben werden.
Quereinsteiger:innen haben zudem die Möglichkeit, berufsbegleitende Studiengänge im Bereich Pflegemanagement oder Case Management, die eine Dauer von zwei bis vier Jahren haben, zu absolvieren. „Wichtig bei all dem ist, dass die
Qualifizierung von anerkannten Bildungsträgern durchgeführt wird und
an die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen der Spitzenverbände der Pflegeversicherung angepasst ist. Allerdings sind neben der formalen Qualifikation auch persönliche Eigenschaften und Kompetenzen wie eine hohe Beratungskompetenz, Einfühlungsvermögen, interkulturelle Kompetenz und eine gute Organisationsfähigkeit wichtig, um als Pflegeberater:in erfolgreich zu sein“, ergänzt Nadine Sunder.
Zur Person
Nadine Sunder (geb. 1978), M. Sc. Public Health, studierte an der Universität Bielefeld Gesundheits-kommunikation und Gesundheitswissenschaften und
ist seit 2017 selbständig mit dem
Unterstützpunkt Gesundheit in der Versorgungslandschaft sowie als Lehrbeauftragte für unterschiedliche Hochschulen tätig.
Ihre Erfahrungen im Gesundheitswesen begründen sich daneben auf ihrer mehrjährigen Berufspraxis in der Pflegebildung, auf ihren Qualifizierungen und ihrer praktischen Tätigkeit als zertifizierte Case Managerin, Pflegeberaterin, Sachverständige im Gesundheitswesen und Pflegefachgutachterin sowie auf ihrer grundständigen Ausbildung zur staatlich examinierten Krankenschwester mit langjähriger Berufserfahrung im ambulanten und stationären Pflege- und Versorgungssetting.
Das Interview führte Hayat Issa.