12/04/2024

KI und Digitale Gesundheitskompetenz – Nicht auf das Digitale verlassen

Wir dürfen uns nicht nur auf das Digitale verlassen, besonders dann nicht, wenn es um unsere Gesundheit geht. Allerdings wird digitale Gesundheitskompetenz wichtiger denn je, da es z. B. immer mehr Gesundheits-Apps gibt, mit denen wir uns Trainingspläne zum Erreichen eines selbst gesteckten Fitnesszieles erstellen können. Noch wichtiger wird die digitale Gesundheitskompetenz im Umgang mit der künstlichen Intelligenz (KI). Programme wie z. B. ChatGPT und Google Bard suggerieren, dass sie hilfreiche Antworten auf gesundheitliche bieten. Warum digitale Gesundheitskompetenz im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz immer wichtiger wird und was wir bei der Nutzung digitaler Innovationen immer beachten müssen, erklärt Prof. Dr. Viviane Scherenberg, Professorin für Prävention und Gesundheitsförderung und Studiengangsleiterin der APOLLON Studiengänge Präventions- und Gesundheitsmanagement (B. A.) und Public Health (M. Sc) mit den Schwerpunkten Prävention und psychische Gesundheit sowie Umwelt und Gesundheit

Künstliche Intelligenz: Ungeahnte Potenziale

Schon heute wird künstliche Intelligenz in der Prävention vielfach eingesetzt, um Risiken zu identifizieren, Früherkennung zu ermöglichen und präventive Interventionen zu optimieren. Dazu gehören z. B. Chatbots im Rahmen von Gesundheits-Apps, die Menschen bei der Bewältigung von Stress oder Angstzuständen helfen sollen. Auch in der Verkehrsicherheit wird KI bereits erfolgreich eingesetzt, um Unfallrisiken zu identifizieren und zu reduzieren. Mittels KI-gestützter Analysen von Verkehrsdaten können Verkehrsunfälle vorhergesagt und so präventive Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit initiiert werden. Dies sind nur einige von vielen Beispielen, die von Viviane Scherenberg in diesem Interview genannt wurden, dabei ist es ihr ein ausdrückliches Anliegen, neben den Potenzialen immer auch auf die Grenzen und die damit verbundenen Herausforderungen einzugehen.

KI-Schattenseiten und Präventionsbedarf

Ein wesentlicher Aspekt ist die fehlende individuelle Betrachtung des Menschen bei automatisch generierten Informationen. „Was Fachpersonal leistet, kann niemals durch eine KI ersetzt werden. Technische Unterstützung ja, aber die Expertise, die Einschätzung des persönlichen Zustands, des psychischen oder physischen Erscheinungsbildes, kann kein intelligentes Computerprogramm mit all seinen Facetten ganzheitlich erfassen und bewerten“, betont Prof. Dr. Viviane Scherenberg. Sie weiß, dass die Nutzung von KI sehr verlockend ist und zunehmend genutzt wird. „Sowohl im professionellen als auch im privaten Kontext sollten so generierte Daten immer kritisch beäugt werden“, so die erfahrene Gesundheitswissenschaftlerin. Menschen neigten aus Bequemlichkeit dazu, unbedarft digitalen Informationen Glauben zu schenken, unabhängig davon, ob diese von KI oder Gesundheitstrackern generiert wurden. Oftmals sei ihnen gar nicht bewusst, dass sie auf eine künstliche Intelligenz zurückgreifen. „Es muss bedacht werden, dass die Qualität der gesundheitsbezogenen Informationen immer von der Datenlage abhängt. Eine KI kann immer nur auf die jeweilige Datenbasis zurückgreifen. Fundierte, aktuelle, wissenschaftliche Studienergebnisse, die kritisch im Hinblick auf das Studiendesign bzw. die Qualität und Evidenz reflektiert wurden oder auch die langjährige Expertise von gesundheitsbezogenem Fachpersonal, sind hier nicht enthalten“, betont Scherenberg. Was ebenfalls riskant sei: KI verallgemeinert. Eine individuelle Betrachtung (über einen längeren Zeitraum) ist nicht möglich, aber für eine erfolgreiche Gesundheitsberatung unumgänglich.

 

Digitale Gesundheitskompetenz: Die Zentrale Schlüsselqualifikation im KI-Zeitalter

Dennoch, so Prof. Dr. Viviane Scherenberg, seien digitale Interventionen wertvolle Tools – allerdings immer nur ergänzend zum Beispiel zum Austausch mit qualifizierten Gesundheitsexperten (Hausärztin oder Hausarzt, Fitnesstrainerinnen und -trainern, Apothekerinnen und Apothekern etc.). Sie setzt sich zudem dafür ein, eine digitale Gesundheitskompetenz in der breiten Bevölkerung zu vermitteln und sieht hier insbesondere die gesetzlichen Krankenkassen aufgrund des § 20k SGB V in der Pflicht. Danach sind gesetzliche Krankenkassen dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Einsatzes digitaler oder telemedizinischer Anwendungen und Verfahren für ihre Versicherten anzubieten. „Es müssen alle gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen abgeholt und sensibilisiert werden“, so Scherenberg. Menschen müssten grundsätzlich lernen, kritisch mit digitalen Informationen umzugehen, um ihre digitale Selbstbestimmung und Autonomie zu bewahren. Nur wenn Menschen lernen, wie KI-Systeme funktionieren, wie Informationen generiert werden und welche Auswirkungen sie haben können, werden sie in die Lage versetzt, eigene Entscheidungen zu treffen und ihre persönlichen Daten zu schützen, betont sie. Für Scherenberg ist ist das Bewusstsein wichtig: „Digitale Tools bieten Möglichkeiten, haben aber auch ihre Grenzen und dürfen immer nur Mittel zum Zweck sein, daher sollte man sich nie zu 100 Prozent auf sie verlassen.“

Interviewpartnerin

Prof. Dr. Viviane Scherenberg

Prof. Dr. Viviane Scherenberg ist Vizepräsidentin der APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft und Dekanin für Public Health sowie Umweltgesundheit. Neben der Leitung der Bachelor- und Masterstudiengänge Präventions- und Gesundheitsmanagement (B. A.) und Public Health (M. A.) beschäftigt sie sich auf wissenschaftlicher Ebene mit der Förderunginnovativer Themen, wie z. B. ePublic Health, digitale Interventionen und gesundheits- und (umweltbezogene) Anreizsysteme (z. B. Gamification).

Ein weiterer Themenschwerpunkt ist die psychische Gesundheit von Menschen (z. B. Mood-Tracking-Apps). Ihre persönliche Intention ist es, den Transfer wissenschaftlicher Ideen in die Praxis zu bewirken und bei praxisrelevanten Problemstellungen gemeinsam mit einem Netzwerk aus engagierten Kooperationspartnern Impulse zu setzen. Prof. Dr. Viviane Scherenberg handelt unter der Leitmaxime einer nachhaltigen Entwicklung, bei der langfristig eine vorteilhafte Situation für alle Beteiligten, insbesondere sozial benachteiligte Personen, erreicht wird.