30/12/2020

DIE SACHE MIT DEM SINN: “BENEFIT-FINDING” UND DAS IMMUNSYSTEM

Das Gute im Schlechten zu finden, kann die Gesundheit fördern. Prof. Dr. Marcus Eckert, Professor für Psychologie an der APOLLON Hochschule, erklärt wie Forschende einen Zusammenhang zwischen dem sogenannten Benefit-Finding und dem Immunsystem festgestellt haben und gibt zudem konkrete Impulse für den Alltag an die Hand.

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen Psychologen und Ärzte den wissenschaftlichen Blick auf Krankheit und Gesundheit grundlegend zu verändern: Bis dahin wurde immer danach gefragt, was uns krank macht. Mit Aaron Antonowsky kam eine neue Perspektive hinzu: Er fragte danach, was uns gesund hält oder gesund macht - und fand dabei drei übergeordnete psychische Faktoren:

  • Handhabbarkeit,
  • Verstehbarkeit und
  • Sinnhaftigkeit.

Inzwischen hat die Forschung extrem spannende Befunde zur Sinnhaftigkeit hervorgebracht, von denen einige hier vorgestellt werden sollen. Danach werden daraus zwei Impulse für den Alltag abgeleitet.

Diese Beispiele aus der Forschung belegen das sehr beeindruckend:

Dank des technischen Fortschritts kann man gut zeigen, dass unsere bildlichen Vorstellungen und unsere mentalen Einstellungen die Aktivität unseres Immunsystems mit beeinflussen können. In welchem Ausmaß das geschehen kann, legen Studien mit Krebspatienten und mit Personen dar, die HIV positiv sind. Beides extrem schwere Krankheiten.

Charles Carver und Michael Antoni (2004) fanden heraus, Krebspatientinnen, die ihre Krankheit nicht nur akzeptierten, sondern auch noch einen Sinn darin fanden, ein deutlich geringeres Risiko hatten, zusätzlich an einer Depression zu erkranken. Sie fühlten sich durch die Krankheit weniger belastet als Patientinnen, die keinen Sinn in der Krankheit fanden. Das Gute-im-Schlechten-finden wird in der positiven Psychologie als Benefit-Finding bezeichnet.

Bonni A. McGregor und Kolleg/-innen konnten zeigen, dass sich kognitives Stressmanagement und Benefit-Finding nicht nur auf die mentale Gesundheit von Krebspatienten auswirken, sondern tatsächlich auch das Immunsystem stärken und Entzündungen im Körper reduzieren.

Bower und Kolleg/-innen fanden bereits 1998 heraus, dass bei Patient/-innen, die HIV positiv waren, der Immunstatus über lange Zeit besser und stabiler war, wenn sie ihre Krankheit akzeptierten und einen "Sinn" in ihr fanden (Benefit-Finding). Sie überlebten deutlich länger, als erwartbar gewesen wäre.

Insgesamt zeigte sich für "Normalgesunde", dass das Akzeptieren von Stressoren oder Ärgernissen, die nicht veränderbar sind, und das Finden eines Sinnes (Benefit-Finding), nicht nur das Wohlbefinden verbessert und Stresserleben reduziert, sondern auch die Krankheitsanfälligkeit verringert. Deswegen geben wir Ihnen in diesem Impuls zu Jahresbeginn zwei Ideen, wie Sie vom Benefit-Finding in Ihrem Alltag profitieren können.

Impuls 1:

Manchmal ist es schwer, im Negativen das Positive zu finden. Deswegen kann es sehr hilfreich sein, wenn wir uns klar machen, dass wir in unserem Leben schon häufig sehr ärgerliche, schmerzhafte, traurige oder negative Dinge erlebt haben, von denen wir heute sagen können, sie waren gut für uns oder für unsere Entwicklung.

Finden Sie Begebenheiten aus Ihrer Vergangenheit, die zwar aus damaliger Sicht stressvoll, ärgerlich, ungerecht, schmerzhaft oder traurig waren - von denen Sie heute aber wissen, dass sie gut für Sie waren oder zumindest gute Aspekte für Sie hatten (ein Beispiel finden Sie unten).

Wählen Sie bitte unbedingt Situationen, von denen Sie jetzt schon wissen, dass sie (zumindest in Teilen) gut oder förderlich waren. Begeben Sie sich noch nicht in nicht verarbeitete, traumatische Situationen!

Es geht bei dieser Übung darum, sich das Benefit-Finding biographisch zu erschließen. Je mehr Referenzsituationen man findet, desto leichter wird es fallen, auch gegenwärtige Ereignisse zu akzeptieren und durch die Brille des "Sinnhaften" zu betrachten (s. Impuls 2).

Ein persönliches Beispiel: 

Vor sehr vielen Jahren habe ich mich auf die Stelle eines Schulleiters beworben. Die annehmende Schule wollte gerne mit mir arbeiten, weil ich eher progressiv und unkonventionell dachte und arbeitete. Allerdings wurde ich an der Schule, an der ich damals unterrichtete, überprüft. Der Schulrat, der damals die Überprüfung durchführte, ließ mich im Schulrecht durchfallen – nach eigener Aussage, weil ich nicht so dachte, wie ein Beamter typischerweise denken sollte. Er würde niemanden unterstützen, der die Schule verändern will.

Damals habe ich mich sehr darüber geärgert. Aus heutiger Sicht bin ich für diese Entscheidung absolut dankbar - hätte ich doch sonst niemals Psychologie studiert, promoviert und mit so interessanten Menschen und Themen gearbeitet. Ich wäre vermutlich auch nie an der APOLLON Hochschule gelandet.

Impuls 2:

Finden Sie im Januar täglich ein kleines Ärgernis, dass sie nicht ändern können und (er-)finden Sie einen möglichen Sinn. Erzählen Sie sich selbst eine Geschichte, warum diese Situation vielleicht einmal gut für Sie sein könnte. Seien Sie erfinderisch. Es geht nicht darum, dass Sie sich selbst austricksen, sondern darum, Ihr Gehirn für die Perspektive des Benefit-Findings etwas gelenkiger zu machen. Sehen Sie jeden Tag als kleines Training an. ;-)