ErfahrungsBerichte

Gina Gipperich
(B. Sc.)

Ein Fernstudium mit chronischer Erkrankung & Behinderung

Mein Name ist Gina Gipperich, ich bin 32 Jahre alt und studiere seit August 2015 an der Apollon Hochschule den Bachelor Angewandte Psychologie. Ich bin blind, mit geringem Restsehvermögen von 2% auf dem rechten Auge und links noch Handbewegung (so wird dies rechtlich in Deutschland genannt- blind bedeutet nicht automatisch, nur noch komplette Dunkelheit).

Dies hat sich jedoch erst ein paar Monate nach Beginn meines Studiums an der Apollon ereignet. Um zu verstehen wie es genau dazu kam, gebe ich einen kurzen Einblick in meine „Krankengeschichte“.

Seit meinem 6. Lebensjahr leide ich am „Stevens-Johnson-Syndrom“, sowie „Toxische epidermale Nekrolyse“ (früher Lyell-Syndrom), welche beide durch eine schwere seltene allergische Reaktion auf ein Medikament ausgelöst wurden. Zu den Folgen gehören, eine ausgedehnte Blasenbildung als auch eine großflächige Ablösung der Haut. Zudem werden alle Körperteile mit Schleimhäuten (z.B. Augen, Mund, Atemwege) stark angegriffen. Anschließend habe ich ungefähr ein halbes Jahr inkl. Koma im Krankenhaus verbracht. Im Laufe der Jahre unterzog ich mich ca. 40 Augenoperationen und diversen anderen Operationen. Als letztendliche Folgen sind mir heute, eine chronische Erkrankung, Immunschwäche, Hautprobleme, Asthma bronchiale, div. Zahnverluste, ein vermindertes Hörvermögen, sowie extremer Sehverlust, geblieben. Die Schleimhäute in den Augen werden am schlimmsten zerstört, was in den meisten Fällen zur Erblindung führt. Bis 29 war ich „lediglich“ zuerst sehbehindert (ca. 20%), dann stark sehbehindert (ca. 10 %) und nun 2 % (auf dem besseren Auge). Die Erkrankung, sowie die vielen Operationen haben die Augen derart angegriffen, dass Wimpern in die Augen wachsen und sie keine Abwehr mehr gegen Bakterien/Viren aufweisen – dies hat häufige wiederkehrende schwere Entzündungen mit sehr starken wochenlangen Schmerzschüben, zur Folge. Im Frühling 2016 verlor ich dann durch eine dieser schweren Entzündungen fast mein gesamtes Augenlicht.

Nun aber zum Wesentlichen. Durch meine Erkrankung/Behinderung und den vielen Krankenhausaufenthalten wurden mir beruflich immer wieder Steine in den Weg gelegt, so dass ich leider nie meinen Lebenslauf so gestalten konnte, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich musste meinen beruflichen Werdegang meiner Krankheit unterordnen, was mich Anfang 20 sehr stark belastete, da ich immer den Wunsch hegte, zu studieren. Mit 22 entschied ich mich dann noch einmal die Schulbank zu drücken, um mein Abitur nachzuholen, was an einer regulären Schule aufgrund extremer Fehlzeiten, nicht funktionierte. Somit bin ich an ein Internat & eine Blindenschule in Marburg gegangen, um meinen Traum vom Studium nicht aufgeben zu müssen. Anschließend fing ich im Sommer 2010 endlich mein Studium an einer Präsenzuniversität in Köln an. Bedauerlicherweise musste ich hier auch feststellen, dass ein Studium mit Behinderung zwar machbar war, sich jedoch aufgrund stetiger langer Krankzeiten, als sehr schwierig erwies. 2011 riss nun auch noch meine Hornhaut am linken Auge, wodurch ich eine Transplantation benötigte, was mir aufgrund schwerer Komplikationen eine Krankzeit von 9 Monaten einbrachte – und dies bedeutete das endgültige Aus meines Studiums. Obwohl ich auch diesmal meinen Traum vom Studium nicht verwirklichen konnte, gab ich die Hoffnung nicht auf. 2013/2014 absolvierte ich eine Ausbildung zum Heilpraktiker Psychotherapie, eine Ausbildung im Bereich Stressmanagement und Entspannungstraining, um mich im Bereich Psychologie/Prävention weiterzubilden. Dies konnte ich teils von zu Hause lernen und musste zweimal die Woche eine Schule besuchen. Anschließend gab ich Kurse im Bereich Entspannungstraining und Stressmanagement. 2014 hatte ich eine Glaskörperablösung, sowie einen Netzhautriss im Auge.

Ich habe aber nicht aufgegeben daran zu glauben, dass es in meiner Situation trotzdem eine Möglichkeit geben muss, ein Studium zu machen…Und DANN habe ich das Studium der Apollon Hochschule gefunden und wusste DAS ist es. Darauf habe ich gewartet.

Zu Anfang des Studiums, konnte ich die Studienhefte und Fallaufgaben lesen und noch handschriftlich bearbeiten und somit in „meinem Tempo“ studieren. Was sich dann 5 Monate später rasant ändern sollte.  Ich musste alles neu erlernen – lernen mit dem Blindenstock zu gehen, lernen mich neu zu orientieren, sowie in der Umgebung zurechtzufinden. Ich habe einen großen Teil meiner Freiheit einbüßen müssen, was mich sehr viel Kraft gekostet hat. Zudem musste ich lernen nun anders zu studieren. Alles ging viel langsamer. Nun konnte ich nichts mehr per Hand schreiben – keine Karteikarten oder Skriptzusammenfassungen. Ich war immer ein visueller Lerntyp und nun ging dies nicht mehr und ich war auf diverse Hilfsmittel (Sprachausgaben, Bildschirmlesegeräte), angewiesen. Ich brauchte Nachteilsausgleiche in Prüfungen sowie Begleitpersonen zu den Seminaren und Prüfungen. Der Studienservice war sehr bemüht mir zu helfen und mich zu unterstützen. Mit den PDFs kommt man sehr gut zurecht und es wird immer mehr als MP3 angeboten, was natürlich sehr praktisch ist. Mittlerweile habe ich mich mit allem arrangiert und komme sehr gut im Studium zurecht. Ich bin voller Zuversicht und sehr dankbar für diese Chance. Zudem geben mir mein Ehemann als auch meine Mama, ebenfalls sehr viel Kraft und unterstützen mich bei allem. Ohne diese beiden Menschen und ihre Hilfe hätte ich die Kraft nicht gehabt und danke Ihnen von ganzem Herzen. Meinen Bachelorabschluss strebe ich Ende 2019/ Anfang 2020 an – mal sehen was die Zukunft noch so bereithält für mich!

Ich habe ziemlich viel und auch Privates geschrieben, aber ich möchte damit gerne anderen Menschen und (interessierten) Studenten Mut machen, die ähnliche Erkrankungen oder Schicksale zu erleiden haben. Wie schwer es auch sein mag und wie viel Schmerzen man zu erleiden hat, man darf niemals aufgeben. Es wird immer einen Weg geben, auch wenn es erst aussichtslos erscheint. Es gibt natürlich auch Tage, an denen ich den Sinn von allem nicht verstehe, starke Zweifel habe und mich dann erst einmal wieder erholen muss – aber das ist in Ordnung, denn manchmal braucht man diese Zeit, um danach wieder stark zu sein!

Ich wünsche allen (zukünftigen) Studenten viel Kraft, Mut und den Willen den eigenen Weg zu gehen und sich für seine Träume und Ziele einzusetzen und zu kämpfen.

Gina Gipperich

 

Mehr von Frau Gipperich können Sie in dem Artikel „Wenn der Boden unter den Füßen wegbricht: Das Trauma der Erkrankung und meine Auseinandersetzung mit ihr” lesen.  Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 1/2020 der Fachzeitschrift „horus“ veröffentlicht.