ErfahrungsBerichte

Liane Eberhard
(B. A.)

Erlernter Beruf Arzthelferin
GeburtsJahr 1977

你好 „Ni hao“ aus dem Land der Mitte

 

„Wir gehen nach China!“ – Es war schon immer klar, dass ich meinem Mann bei einer solchen Chance nicht im Weg stehen und mitgehen werde. Mit Stäbchen essen konnte ich ja schon und da ich 2006 bereits während eines vierwöchigen Urlaubes Shanghai und das Umland kennen lernen durfte, war kein langes Sinnieren nötig, hier die Entscheidung zu treffen.

Aber, was mache ich in der Zeit?!

In Deutschland noch habe ich mich in den unendlichen Weiten des Internets auf die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle gemacht. Was ich fand, waren sehr interessante Unternehmen auf der Suche nach Mitarbeitern mit mindestens Bachelor-Grad, meist noch in Kombination mit Chinesischkenntnissen. Das konnte ich nun als deutsche Chefarztsekretärin mit Erfahrung im Rechtsanwalts- und Steuerbereich nicht vorweisen.

Wieso also nicht diese Auszeit nutzen und die eigene Karriere ein bisschen forcieren?

Googelt man „Fernstudium Gesundheitswirtschaft“ stolpert man sehr schnell über die APOLLON Hochschule. Für ein Fernstudium dort hatte ich alle Voraussetzungen und musste gar nicht überlegen, ob ich diese Unternehmung starten sollte. Anmeldung raus, Koffer gepackt und schon war ich in Shanghai.

Vier Wochen Vorlaufzeit hatte ich zur Neuorientierung in der großen Stadt eingeplant bevor das erste Studienpaket mich erreichen sollte. Hervorzuheben ist hierbei der stets nette Kontakt mit dem Studienservice der APOLLON Hochschule. Es war ja nicht sicher ob die Post hier pünktlich und sicher zum Empfänger kommt, wie man es in Deutschland gewöhnt ist. Aber es funktioniert sehr gut. Zwar wird jedes Paket – vermutlich vom Zoll –  geöffnet aber es fehlte bisher nie etwas.

Kaum lagen die ersten Skripte auf dem Schreibtisch ging es also „zur Sache“. Wie werde ich wohl mit der freien Zeiteinteilung zurecht kommen? Ich habe bis zuletzt an mir gezweifelt und muss sagen, ich bin von mir selber überrascht. Zunächst habe ich mir einen kleinen „Pseudojob“ organisiert. Ich bin jeden Morgen früh aufgestanden, habe mich mit meinen Skripten, die ich gerade bearbeite um 8.00 Uhr in die Metro gesetzt und bin zur Bibliothek gefahren. Dort habe ich dann meine fünf bis sechs Stunden gearbeitet und nach „Feierabend“ ging es wieder zurück nach Hause.

Insgesamt fehlten mir aber aufgrund der großen Distanzen hier in Shanghai zwei volle Stunden jeden Tag. Zwei sehr interessante Stunden, denn unterwegs und in der dichtbesetzten Metro erlebt man immer etwas und ich weiß nicht, wer wen interessierter beobachtet hat – die Chinesen mich oder umgekehrt… Mag vielleicht daran gelegen haben, dass ich während der Fahrt in meinen aus konservativem Papier bestehenden Skripten geblättert habe und nicht mit irgendeinem mobilen Hightech-Gerät telefoniert, Musik gehört, einen Film geschaut oder ein Spiel gespielt habe, wie sonst wirklich fast alle Mitreisenden.

Aber diese zwei Stunden fehlen eben, um das ganze „Drumherum“ zu erledigen. Experimentell habe ich dann beschlossen, einfach mal von zuhause aus zu lernen. Und mir geschworen, wenn es nicht funktioniert, mangels Motivation oder ähnlichem, dann fahre ich eben wieder zur Bibliothek. Seitdem lerne ich von zuhause. Und es läuft! Wie gesagt, es wundert mich selber, denn wenn ich an die Schulzeit denke….

Ein sehr großer Vorteil ist, dass ich die Klausuren auch hier vor Ort schreiben kann. Das Goethe-Institut bietet deutschen Studenten die Möglichkeit Ihre Klausuren dort abzulegen. Auch hier läuft die Organisation mit dem Studienservice sehr gut. Bei der ersten Klausur habe ich mich noch darüber gewundert, dass ich Handtasche, Jacke, Mobiltelefon etc. abgeben musste. Bei den folgenden, wusste ich dann schon, dass nun mein Kugelschreiber (vielleicht noch mein Taschenrechner) und ich alleine uns den 120 Minuten Prüfungszeit stellen dürfen. Das ist wohl so in China, obwohl es eigentlich eine Ehrensache für die Chinesen ist, nicht zu schummeln.
Die Weisheiten, die ich dann zu Papier gebracht habe, werden anschließend nach Deutschland zur Hochschule zwecks Korrektur gesendet. Und lediglich der Postweg verlängert eben ein wenig die Wartezeit. Auch hier läuft sonst alles wie für die deutschen Fernstudenten.

Da die Zahl der APOLLON-Studenten in Shanghai schwindend gering ist, kommt leider kein Stammtisch zustande. Aber den Tipp vom Einführungsseminar „Vernetzt Euch!“ habe ich angenommen und so rückt die Welt durch E-Mail, Skype und Gruppen in sozialen Netzwerken doch ein ganzes Stück zusammen.

Heimweh habe ich hier in der ganzen Zeit nie gehabt. Familie und Freunde erreiche ich ebenso via Telefon und Internet und in der Not wäre ich in 12 Stunden wieder in Deutschland. Die große deutsche Community in Shanghai bietet die Möglichkeit viele Leute kennenzulernen. Hierunter habe ich schon manch weiteren Fernstudenten gefunden und so ist man doch nicht ganz allein. Zudem werden laufend typisch deutschen Aktivitäten wie Oktoberfest, vorweihnachtliche Feuerzangenbowle oder Übertragungen der Bundesliga und ähnliches angeboten. Dies bringt ein bisschen Heimat in die Ferne, was ein schönes Miteinander unterstützt.

Ich kann jedem, dem sich eine solche Chance bietet, nur empfehlen, sie zu nutzen. Man lernt eine völlig neue Flexibilität und wird gelassener, wenn einem nicht immer alles wie auf dem Silbertablett serviert wird.

Zunächst die sprachliche Kluft. Englisch ist weiterhin nicht die Weltsprache in Shanghai, auch wenn die Stadt mit ihren rund 24 Millionen Einwohnern (inkl. Vororte) und der faszinierenden Skyline eine Weltmetropole ist. Will man den kulturellen Unterschied spüren, muss man sich in die Eckchen begeben, in denen die englische Kommunikation weitestgehend unmöglich ist. Aber ganz ehrlich: für mich macht es gerade das aus. Ich finde es spannend durch kleine Gassen zu spazieren, hier und da Undefinierbares aus Garküchen zu probieren („Wir sind ja gegen alles geimpft“, sagt mein Mann immer), Seidentücher bei der fahrenden Händlerin um die Ecke in gebrochenem Chinesisch auf mein Preisminimum runterzuhandeln, oder einfach der älteren Generation der Shanghainesen beim Mahjong-Spiel auf dem Gehweg oder beim Paartanz im Park zuzuschauen. Denn genau an diesen Eckchen kommt man mit den Menschen in Kontakt. Und die Freundlichkeit und Offenheit, die einem dann entgegen kommt, wenn sie feststellen, dass sich jemand mit dieser komplizierten Sprache bemüht und für ihre Kultur interessiert, ist einfach unbezahlbar.

Sehr anstrengend finde ich immer wieder den Spagat zwischen Freundschaft im deutschen und im chinesischen Sinne. Da die Chinesen stets auf den Ausbau von Beziehungen bedacht sind – und hier geht es nicht wie bei uns um die rein zwischenmenschliche Beziehung, sondern definitiv um Beziehungen im Geschäftssinn, auch auf privater Ebene – muss man immer darauf achten, dass man Geschenke erwidert und Abendessen am besten abwechselnd bezahlt. Mit Geschenken oder Einladungen zum Essen ist es in China üblich sozusagen in Vorleistung zu treten. Hier gilt es dann auch bei chinesischen Freunden und Bekannten immer auf einem Level zu bleiben, sonst ist man etwas schuldig und zu gegebenem Anlass kann diese Schuld dann schon einmal direkt eingefordert werden. Es ist schwer dies nicht als berechnend zu sehen oder persönlich zu nehmen, wenn man sein Leben lang Geschenke von Herzen gemacht hat. Ich sage mir deshalb immer: „Es ist hier eben so!“. Und so wie wir für außenstehende Eigenarten unserer Kultur im Blut haben sind solche Gepflogenheiten hier üblich.

Insgesamt bin ich sehr glücklich mit der Möglichkeit, die sich mir durch APOLLON hier bietet. Auf diese Weise erweitert man nicht nur den kulturellen Horizont, sondern nimmt noch eine ganze Menge gesundheitswissenschaftliches und -wirtschaftliches Wissen mit. Ein Praktikum vor Ort wäre jetzt noch grandios, mal schauen, was sich ergibt…

Und während Deutschland noch schläft, schieben sich hier schon wieder dicht an dicht, hupend und scheinbar an keiner Verkehrsregel orientiert, tausende Fahrräder, Elektroroller und Mofas, Taxen, Privat-PKWs und Busse durch die belebten Straßen.