08/03/2023

Interview mit Studiengangsleiterin

Interview mit Studiengangsleiterin zum Bachelor Therapiewissenschaften

Interview mit Prof. Dr. Claudia Kemper, Studiengangsleiterin Bachelor Angewandte Therapiewissenschaften – Ergo- und Physiotherapie (B. Sc.) an der APOLLON Hochschule

Anfang März 2023 ging an der APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft mit dem Bachelor Angewandte Therapiewissenschaften (B. Sc.) – Ergo- und Physiotherapie ein neuer berufsbegleitender Fernstudiengang an den Start. Ergo- und Physiotherapeut:innen können in diesem Studium ihr fachliches und therapeutisches Know-how mit wissenschaftlichen Kompetenzen auf akademischem Niveau ergänzen. Prof. Dr. Claudia Kemper, selbst ausgebildete Physiotherapeutin, erläutert im Interview die Besonderheiten des zukunftsweisenden Studiengangs.  

 

Prof. Dr. Kemper, für wen wurde der Studiengang konzipiert?

Prof. Dr. Claudia Kemper: Der Studiengang richtet sich an Personen mit einer mindestens dreijährigen, erfolgreich abgeschlossenen Ergotherapie- oder Physiotherapie-Ausbildung, die ihre Arbeit wissenschaftlich fundierter gestalten und einen anerkannten akademischen Abschluss aufsatteln möchten. Dabei ist nicht ausschlaggebend, ob sie bereits Berufserfahrung sammeln konnten oder ihre Ausbildung gerade erst beendet haben. Die Regelstudienzeit beträgt wahlweise nur 18 oder 24 Monate, da für die abgeschlossene Ausbildung automatisch 90 ECTS anerkannt werden und sich die Studienzeit um die Hälfte verkürzt.

 

Welche Inhalte und Schlüsselqualifikationen werden im neuen Studiengang Bachelor Angewandte Therapiewissenschaften vermittelt?

Der Studiengang vermittelt auf akademischem Niveau alle nötigen Fähigkeiten, um die Versorgungsqualität für Patient:innen zu verbessern, auch im Direktzugang praktizieren zu können und konstruktiv mit anderen Professionen zusammenzuarbeiten. Wir möchten die Studierenden dazu befähigen, epidemiologische und gesundheitsbezogene Informationen zu bewerten, Qualitätsberichte kritisch hinterfragen und erstellen sowie Daten und Informationen gezielt für Therapieentscheidungen nutzen zu können. Sie lernen im Studium, ihr Handeln auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reflektieren, ethische Grundlagen und Prinzipien anwenden zu können und Clinical Reasoning – also wissenschaftlich begründete Entscheidungen – in ihre therapeutische Arbeit zu integrieren. Auch ist es ihnen möglich, gesundheitliche Verhaltensänderungen bei ihren Patient:innen kompetent und bedarfsgerecht anzubahnen oder auch zielgruppenspezifische Angebote zur Prävention zu entwickeln und durchzuführen. Inhaltliche Schwerpunkte liegen vor allem auf der ethischen, klinischen und evidenzbasierten Reflexion von therapeutischer Arbeit, Gesundheitspsychologie und -förderung sowie auf Kompetenzen in Bezug auf Screening und Differentialdiagnostik.

 

Warum hat die APOLLON Hochschule diesen Studiengang entwickelt?

Wir möchten mit diesem Studiengang einem steigenden Bedarf an eigenständigen, wissenschaftlich ausgebildeten und kompetent agierenden Physio- und Ergotherapeut:innen entgegenkommen. Denn die Bereiche Pflege und Therapie verändern sich derzeit rasant – genau wie die Patientenklientel. Im Zuge der demographischen Entwicklung nimmt das Alter der Patient:innen stetig zu. Damit verändern sich auch die Krankheitsbilder, mit denen Ergo- und Physiotherapeut:innen im Berufsalltag zu tun haben: Es gibt zum Beispiel vermehrt Menschen mit Demenz oder anderen gerontopsychiatrischen Erkrankungen, die einer speziell abgestimmten Behandlung bedürfen. Immer mehr ältere und chronisch kranke Menschen stehen zudem immer weniger Ärztinnen und Ärzten gegenüber. Um den hohen Ansprüchen an Qualität und Sicherheit unserer Gesundheitsversorgung gerecht zu werden, werden sich hier Verantwortlichkeiten zwangsläufig verschieben: Der Ruf nach der Akademisierung von Gesundheitsfachberufen wird lauter – denn wenn der Direktzugang von Patient:innen kommt, übernehmen Therapeut:innen in absehbarer Zeit wesentlich verantwortungsvollere Aufgaben als jetzt. Deutschland ist das letzte Land in Europa, das für Ergo- und Physiotherapie bisher keine hochschulische Grundqualifikation erforderlich macht. Mit dem Studium möchten wir Therapeut:innen akademisch qualifizieren und wissenschaftlich ausbilden, um sie letztlich mit einem besseren Handwerkszeug für die Betreuung ihrer Patient:innen auszustatten und auf zukünftige Herausforderungen im Praxisalltag vorzubereiten. Deshalb bleiben wir immer nah an der Realität: Der Studiengang wurde von erfahrenen Ergo- und Physiotherapeut:innen entwickelt – aus der Praxis für die Praxis.

 

Welche Kenntnisse, die über eine Ausbildung Ergo- und Physiotherapie hinausgehen, vermittelt der Studiengang?

Ergo- und Physiotherapeut:innen sollen mit dem Studium in die Lage versetzt werden, evidenzbasiert zu therapieren, also begründete Entscheidungen basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zu treffen. Um Patient:innen kompetent anleiten und über das jeweils bestehende Krankheitsbild auch aufklären zu können, ist es für Therapeut:innen wichtig, sich mit der entsprechenden Forschung auseinanderzusetzen, Forschungsmethoden zu kennen und wissenschaftliche Erkenntnisse schließlich eigenständig umzusetzen. Einige Inhalte des Studiums werden durchaus auch in der Ausbildung angerissen, allerdings viel weniger intensiv. Letztlich geht es in dem Studiengang aber auch darum, dass Physio- und Ergotherapeut:innen interprofessionell und interdisziplinär agieren können. Oft gibt es zwischen diesen beiden Berufszweigen, bei denen ja der Mensch mit seinem gesamten Wohlbefinden, seiner Bewegungs- und Lebensqualität, im Mittelpunkt steht, kaum Austausch – obwohl man davon jeweils lernen und profitieren könnte. In Fachseminaren und Gruppenprojekten findet im Laufe des Studiums viel gemeinsame Arbeit statt, so dass der Perspektivwechsel immer wieder Thema ist und bereichernd wird.

 

Welche Wahlpflicht-Module gibt es?

Es werden die Module Management, Sport und Fitness, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Digitales Gesundheitsmanagement, Gerontopsychiatrie sowie Sektoraler Heilpraktiker angeboten, mit denen sich ein berufliches Profil schärfen lässt – ohne sich jedoch zu sehr festzulegen.

 

Was hat es mit der Erlaubnis zur Ausübung von Heilkunde auf sich? Was lässt sich damit beruflich machen und für welche Bundesländer gilt die Regelung?

Momentan können Patient:innen nur mit ärztlicher Diagnose, bzw. auf Rezept Ergo- und Physiotherapie in Anspruch nehmen. Eine Ausnahme sind die sogenannten sektoralen Heilpraktiker:innen, denen es auch jetzt schon erlaubt ist, Patient:innen direkt, ohne Arztvorbehalt zu behandeln. Der Studiengang Bachelor Angewandte Therapiewissenschaften ist so aufgebaut, dass er – bei erfolgreicher Absolvierung des Moduls „Screening und Differentialdiagnostik“ und des Wahlpflichtfachs „Sektoraler Heilpraktiker“ – die Bedingungen für die Befähigung zur zur/zum sektoralen Heilpraktiker:in erfüllt sind. Ganz praktisch bedeutet die Zulassung zum Sektoralen Heilpraktiker erweiterte Kompetenzen für akademisierte Therapeut:innen.

 

Welche Einsatzfelder eröffnen sich den Absolvent:innen mit diesem Abschluss und den im Studium erworbenen Kompetenzen?

Über die Spezialisierung im Rahmen der Module können sich neue, erweiterte Arbeitsfelder, etwa im Bereich Digitalisierung, betriebliches Gesundheits- oder Sportmanagement oder in der Gerontopsychiatrie, eröffnen. Ich habe aber im Grunde die Hoffnung, dass die Absolvent:innen nach dem Studium nicht den Job wechseln, sondern bei dem bleiben, was sie bereits jetzt von Herzen gerne tun: die Arbeit mit ihren Patient:innen. Ich wünsche mir, bei engagierten Ergo- und Physiotherapeut:innen das Interesse an Wissenschaft und Forschung zu wecken und ihnen für zukünftige Aufgaben noch mehr qualifiziertes Rüstzeug an die Hand zu geben.