16/04/2020

PFLEGE IN DER KRISE

HOFFNUNG AUF EINEN DENKANSTOß FÜR DIE POLITIK

Der Gesundheits- und Krankenpfleger Andreas Absmayr studiert seit Januar 2020 Pflegemanagement (B. A.) an der APOLLON Hochschule der Gesundheitswirtschaft. Bereits seit zwölf Jahren arbeitet er zudem als Stationsleitung am Klinikum der Universität München. Mit Ausbruch des Corona-Virus in Deutschland wurde seine Station vor einigen Wochen zu einer Covid-19-Station umfunktioniert. Wir haben uns mit ihm über sein Fernstudium, die momentane Situation und seine Erfahrungen mit der Krise unterhalten.

Warum haben Sie sich für das Fernstudium Pflegemanagement (B. A.) entschieden? Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Berufsleben gemacht, die sie zu dieser Entscheidung geführt haben?

Ausschlaggebend war meine berufliche Situation. Ich habe vor vielen Jahren die Pflegeausbildung und danach regelmäßig Fortbildungen gemacht – aber irgendwann konnte ich ohne Studium meine Karriere nicht mehr weiterentwickeln.

Warum machen Sie das Studium zum jetzigen Zeitpunkt und was ist Ihre Zielsetzung? Gab es einen besonderen Auslöser für die Entscheidung?

Es gab keinen einzelnen Auslöser für die Entscheidung – das Studium passt gerade einfach gut in mein Leben. Meine beiden Töchter sind mittlerweile fast erwachsen und selbst berufstätig, beziehungsweise in Ausbildung. Jetzt, wo sie auf eigenen Beinen stehen, habe ich die finanziellen Möglichkeiten, zu studieren. Ich möchte vor allem mein Wissen erweitern, mir durch das Pflegemanagement-Studium Wege eröffnen und neue Tätigkeitsbereiche auftun. Meine ganze Familie ist im Gesundheitswesen tätig, meine Frau ist zum Beispiel Krankenpflegehelferin und beginnt ab September die Ausbildung zur Pflegefachfrau. Gemeinsam haben wir 2020 als unser „Lernjahr“ auserkoren.

Könnten Sie uns bitte kurz Ihre derzeitige berufliche Tätigkeit erläutern?

Ich bin pflegerischer Leiter einer hämato-onkologischen Wahlleistungsstation am Klinikum der Universität München. Aufgrund der räumlichen Voraussetzungen – wie zum Beispiel einem besonderen Lüftungssystem – wurde unsere Station vor etwa vier Wochen in eine Infekt-Station umgewandelt. Hier stehen nun ausschließlich Betten für Covid-Infizierte zur Verfügung, die nicht intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Unsere „normalen“ Patientinnen und Patienten konnten wir so auf andere Stationen innerhalb des Krankenhauses verteilen, dass sie nach wie vor fachspezifisch betreut werden.

Wie beschreiben Sie Ihre aktuelle Situation im Job?

Meine Station ist derzeit zu etwa 65 Prozent belegt. Das Durchschnittsalter unserer Patientinnen und Patienten ist über die Wochen gestiegen und liegt derzeit bei circa 85+. Viele von ihnen sind pflegebedürftig, was unseren Arbeitsaufwand erheblich erhöht. Die Versorgung dieser Erkrankten in voller Schutzbekleidung ist sehr anstrengend und „schweißtreibend“. Aber: Die Uniklinik ist sehr gut ausgestattet, was Schutzmaterial für medizinisches und pflegerisches Personal angeht – Kolleginnen und Kollegen, die etwa in Kreiskrankenhäusern, in Alten- und Pflegeheimen oder bei ambulanten Pflegediensten arbeiten, schildern mir zum Teil ganz andere Zustände. Die Situation ist sicher von der Art der Institution abhängig, in der man arbeitet, und davon, in welcher Region man sich befindet.

Gibt es Veränderungen, auf die Sie hoffen?

Ich wünsche mir, dass sich durch die momentane Situation etwas in Bezug auf die gesellschaftspolitische Wertigkeit der Pflege bewegt. Allerdings befürchte ich, dass das nicht passieren wird. Ich arbeite seit 1991 im Pflegebereich und habe schon einige Pflegenotstände mitgemacht – leider hat sich nie nachhaltig etwas verändert. Es wäre schön, wenn die Menschen begreifen, dass wir ein Problem im Gesundheitswesen haben, das nicht erst durch Corona entstanden ist und das auch nach dieser Pandemie Bestand haben wird. Die Krise könnte ein Anstoß dafür sein, dass mehr in der Politik passiert.

Gibt es einen Hinweis oder eine Anregung, die Sie Gesundheitsminister Jens Spahn gern mit auf den Weg geben würden?

Ich bin schon lange der Meinung, dass es eine Bundespflegekammer nach dem Vorbild der Bundesärztekammer geben sollte – mit Mitgliedspflicht für alle Pflegekräfte. Die Pflege ist die größte und eine der wichtigsten Berufsgruppen im Gesundheitswesen, befindet sich aber leider in einer ausgesprochen schwachen Position mit wenig Einfluss. Wir benötigen dringend eine bundesweite Organisation, die die Interessen aller Pflegekräfte in Deutschland vertritt und durch die große Mitgliederanzahl ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft verstärken kann.

Können Sie der momentanen Situation auch etwas Positives abgewinnen?

Schön ist der Zusammenhalt unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in meiner Klinik. Die Bereitschaft, sich einzubringen, war sofort ohne Wenn und Aber vorhanden. Es wurde etwa ohne mit der Wimper zu zucken der eigene Urlaub gestrichen. Wir arbeiten zum Teil in doppelter Besetzung und das mit einer großen Selbstverständlichkeit. Es ist schnell klar geworden: Im Notfall können wir uns aufeinander verlassen, das ist eine tolle Erfahrung.