Klopapier in Krisenzeiten
PSYCHOLOGISCHE ERKLÄRUNGSANSÄTZE IRRATIONALER HAMSTERKÄUFE
Prof. Dr. Marc Schipper (Professor für Psychologie, insbesondere Kognitions- und Sozialpsychologie) beleuchtet das Phänomen der Hamsterkäufe aus verschiedenen psychologischen Perspektiven:
Es wird fleißig gehamstert! In Frankreich sind es Kondome und Wein, in Deutschland Handseife und Toilettenpapier. Den Vorratskauf von Wein, Kondomen, und Handseife können viele am ehesten nachvollziehen, aber warum Toilettenpapier? Um dies zu ergründen, lohnt ein Blick in die Verhaltensforschung! Die Psychologie wartet mit verschiedenen Erklärungsversuchen auf (Taylor, 2019).
Aus klinisch-psychologischer Sicht ist das Phänomen mit einer evolutionär bedingten Abneigung gegen Dinge erklärbar, die uns ekeln. Diese Abneigung wird durch die Infektionsgefahr durch Corona noch verstärkt, es folgen Generalisierungsprozesse und plötzlich wartet das Toilettenpapier, als ein geeignetes Mittel, Ekel zu vermeiden, mit einer ganz neuen Relevanz auf.
Die Sozialpsychologie sieht die Ursache darin, dass das Toilettenpapier im Kopf der Menschen zu einem Symbol für Sicherheit geworden ist, u.a. bedingt durch die Verbreitung unzähliger Bilder und Beiträge in den sozialen Medien. So kaufen immer mehr Menschen Toilettenpapier, so dass in den Toilettenpapierregalen der Supermärkte Leere vorherrscht. Als „soziale Tiere“ sind wir Menschen leicht ansteckbar vom Verhalten der Massen, so dass sozialer Druck und Gruppenkonformität eine wichtige Rolle einnehmen.
Wirtschaftspsychologisch lässt sich der Toilettenpapier-Run ökonomisch erklären: Mit Bezug auf den Zero-Risk-Bias, einer Neigung zum Nullrisiko. Der Mensch versucht mit vielen Rollen Klopapier ein oberflächliches Risiko auszuschließen – anstatt mit mehr Aufwand ein größeres Risiko zu minimieren.
Alle vorgestellten Erklärungen erscheinen plausibel, doch was ist die Ursache? Wie so oft sind die Ursachen multifaktoriell, so dass die Erklärungsansätze ihren Teil zur Beantwortung der Ursachenfrage beitragen und von weiteren Faktoren begleitet werden. Eins lässt sich festhalten: Der Mensch braucht das Gefühl, etwas getan, vorgesorgt zu haben, wobei aber (zumindest am Anfang einer Krisensituation) nicht die Art und Sinnhaftigkeit der Vorsorge zählt, sondern der Fakt, dass überhaupt eine Vorsorgemaßnahme getroffen wurde und so wird dem Toilettenpapier die Ehre zuteil, eins der aktuell gefragtesten Güter in Deutschland zu sein! Herzlichen Glückwunsch!
Verwendete (und weiterführende) Literatur: Taylor, S. (2019). The Psychology of Pandemics. Cambridge Scholars Publishing.